28.12.2023 · Carla Porges
Täterort: Die Friedrich-Schiller-Universität Jena im Nationalsozialismus
Die Zeit des Nationalsozialismus stellte auch für die Universität Jena eines der dunkelsten Kapitel ihrer 465jährigen Geschichte dar.1
Bereits vor der Machtübertragung auf Hitler unterstand die Universität Jena seit 1930, mit Wilhelm Frick, dem Zugriff eines nationalsozialistischen Ministers.2 Dieser leitete mit der Berufung des nicht habilitierten Hans F. K. Günther auf den Lehrstuhl für „Sozialanthropologie“ eine personelle Umstrukturierung an der Universität ein. Zu der Antrittsvorlesung des auch als „Rassepapst“ bezeichneten Günther3 kamen neben anderen hochrangigen NSDAP Mitgliedern auch Göring und Hitler an die Universität nach Jena.
Unter den Rektoraten von Abraham Esau und seines Nachfolgers dem Rassenhygieniker und SS-Standartenführer Karl Astel kam es sukzessive zu einer „rassisch-lebensgesetzlichen“ Ausrichtung der Hochschule4 mit einer entsprechenden Berufungspolitik. Schrittweise vertraten vier Professoren das Themenfeld der Rassenkunde und -hygiene an der Universität. Zu dieser „Rassen-Quadriga“5 gehörten neben Günther („Sozialanthropologie“ 1930–1935) der Zoomorphologe Victor Franz, der Zoologe und Anthropologe Gerhard Herberer und Karl Astel dem der Lehrstuhl für „menschliche Züchtungslehre und Vererbungskunde“ (ab 1935 „menschliche Erbforschung und Rassenpolitik“) unterstand. Die ideologisch ausgerichtete Berufungspolitik beschränkte sich jedoch nicht nur auf den medizinischen und mathematisch naturwissenschaftlichen Bereich, sondern es wurden fakultätsübergreifend neue Lehrstühle für SS-Professoren eingerichtet, so z. B. die Professur für „Rasse und Recht“ welche mit Falk Ruttke besetzt wurde.6
Im Sommer 1933 erfolgte die Umstellung der Universität auf das „Führerprinzip“, welches Wahlen innerhalb der Universität durch Ernennungen ersetzte. Durch die konsequente Ausrichtung von Lehre und Forschung auf NS-Zwecke wurde die Universität Jena zu einem Zentrum der Rassenideologie innerhalb Deutschlands.7
Im Jahr 1934 wurde der Alma Mater Jenensis, durch Initiative von Rektor Abraham Esau, der Name des „deutschen Nationaldichters“ und ihres vielleicht bekanntesten Professors Friedrich Schiller verliehen, welchen sie bis heute trägt.
Bereits ein Jahr, bevor Karl Astel der Lehrstuhl für „menschliche Züchtungslehre und Vererbungskunde“ übertragen wurde, leitete er das seit dem 15. Juli 1933 in Weimar ansässige Landesamt für Rassewesen.8 Dieses wurde nur einen Tag nach der Verabschiedung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ gegründet. 1936 wurde Astel zusätzlich Leiter des Gesundheits- und Wohlfahrtswesens und 1939 schließlich Rektor der Friedrich-Schiller-Universität, welche er bis zum Kriegsende leitete.9 Astel nahm hier eine Rolle als Verbindungsmann zwischen universitärer Forschung und der Umsetzung praktischer „rassenhygienischer“ Maßnahmen des öffentlichen NS-Gesundheitswesen ein.
Zur erbgesundheitlichen Erfassung der thüringischen Bevölkerung entwickelte Astel die sogenannte „Sippschaftstafel“.10 Unter Nutzung dieser wurden von bestimmten Teilen der thüringischen Bevölkerung familiäre Gesundheitsdaten über sechs Generationen hinweg erfasst, um vermeintlich minderwertige Bevölkerungsgruppe zu lokalisieren. Die „Sippschaftstafel“ diente als wissenschaftliche Legitimation für die Umsetzung eugenischer „Erbgesundheitsmaßnahmen“, wie die Durchführung von Zwangssterilisationen.
Die richterliche Entscheidung zur Durchführung von Zwangssterilisationen wurde auf Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von neu eingerichteten Erbgesundheitsgerichten getroffen. Ärzte der medizinischen Fakultät waren als Beisitzer der Erbgesundheitsgerichte bzw. des Erbgesundheitsobergerichtes in Jena tätig. Des Weiteren waren verschiedene Uni-Kliniken in die Vorbereitung und Durchführung der Zwangsmaßnahmen eingebunden. Von der Nervenklinik aus erfolgten Anzeigen von Erbkranken und Anträge auf Zwangssterilisation. Die Eingriffe zur Zwangssterilisation wurden, neben anderen thüringischen Kliniken, an der Frauenklinik und der Chirurgischen Klinik der Universität durchgeführt. Zwischen Januar 1934 bis Januar 1937 wurden mindesten 1593 Menschen an den Jenaer Unikliniken zwangssterilisiert.11 Die Gesamtzahl der bis Ende der NS-Diktatur in Thüringen durchgeführten Zwangssterilisationen ist nicht bekannt.
Neben der Involvierung in Zwangssterilisationen beteiligten sich Wissenschaftler der Universität an der Durchführung der „Kindereuthanasie“ und der „Aktion T4“. Der Dozent für „Psychiatrie und Neurologie“ Gerhard Kloos war neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität Direktor der thüringischen Landesheilanstalten Stadtroda. In dieser Funktion unterstand ihm die im Herbst 1942 an den Landesheilanstalten gegründete einzige Kinderfachabteilung in Thüringen. In der speziell eingerichteten Kinderfachabteilung kam es zur gezielten Tötung kranker und behinderter Kinder durch das Anstaltspersonal. Überweisungen an die Kinderfachabteilung erfolgten auch von der Jenaer Kinderklinik aus. Auf zwei dieser Überweisungen ist der handschriftliche Vermerk „Euthanasie“ durch den leitenden Kinderarzt Jussuf Ibrahim nachgewiesen.12
Ein weiterer in das „Euthanasie“-Programm eingebundener Jenaer Wissenschaftler war der Direktor der Psychiatrischen- und Nervenklinik Berthold Kihn. Als eingesetzter Gutachter der „Euthanasie“-Aktion T4 bearbeitete er Meldebögen aus Heil- und Pflegeanstalten und war dadurch aktiv an der Planung der Ermordung chronisch Kranker beteiligt. Auch erfolgten von der Psychiatrischen- und Nervenklinik aus Überweisungen von Patienten an die Landesheilanstalten Blankenhain und Stadtroda, welche sowohl in die Aktion T4 als auch in die dezentrale „Euthanasie“ eingebunden waren.13
Das anatomische Institut erhielt zwischen 1933 bis zum Ende des Krieges etwa 200 Leichen aus den Landesheilanstalten Blankenhain und Stadtroda. Nach einer Verordnung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom Februar 1939, welches die Überlassung der Leichen von Hingerichteten an das nächste Anatomische Institut anwies, erhielt das Institut zusätzlich etwa 200 Opfer von Hinrichtungen.14
Zum KZ Buchenwald pflegte die Universität verschiedenste Verbindungen. Mitarbeiter des Hygienischen Institutes führten für die SS des KZ Buchenwald bakteriologische Untersuchungen des Wassers und Abwassers durch. Die Unikliniken dienten in besonderen Fällen als Nebenhaftstätten für wirtschaftlich oder politisch wertvoll erachtete Gefangene, welche einer medizinischen Behandlung bedurften. Hugo Heinz Schmick, SS-Obersturmbannführer und Arzt der chirurgischen Klinik, führte 1944 Versuche mit konzentrierter Carbolsäure bei infizierten Wunden an Häftlingen im KZ Buchenwald durch. Im gleichen Jahr führten Jenaer Dozenten, darunter Gerhard Herberer und Karl Astel, eine Veranstaltungsreihe für norwegische Studenten im KZ Buchenwald durch.15
Die Universität Jena hat in einer 2003 erschienen Veröffentlichung einen umfassenden Beitrag zur Aufarbeitung ihrer Stellung in der Zeit des Nationalsozialismus geleistet.16
Mit der Jenaer Erklärung aus dem Jahr 201917 und daraus resultierenden Veröffentlichungen18 sowie Bildungsmedien19 führt sie diese reflektierte historische Auseinandersetzung fort.
Endnoten
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