Beredtes Schweigen – NS-Eugenikverbrechen und ihre Folgen

Wenn wir an die Zeit des Nationalsozialismus denken, dann denken die wenigsten an ein Massenverbrechen, das in Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten, Gesundheitsämtern und Heimen ermöglicht und durchgeführt wurde: die systematische Sterilisierung und Ermordung von kranken, unangepassten, geistig oder körperlich beeinträchtigten Menschen. Ca. 400.000 Frauen, Männer und Jugendliche sind zwangssterilisiert worden, rund 300.000 Opfer der Krankenmorde sind bisher gezählt.

Die Gerichtsurteile, die den Zwangssterilisierungen zugrunde lagen, wurden erst 1998 aufgehoben. Eine Rehabilitation der Betroffenen von Zwangssterilisationen und „Euthanasie“-Morden fand erst 2007 statt: In diesem Jahr wurde das sogenannte „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ durch den Bundestag offiziell geächtet – neunundachtzig Jahre nachdem es in Kraft getreten ist. Die Anerkennung der Opfer von Zwangssterilisierung und NS-„Euthanasie“ als NS-Verfolgte wurde über Jahrzehnte verweigert und erst 2022 geleistet. Die Aufarbeitung dieser Verbrechen wurde vernachlässigt, weswegen die Betroffenen als „die vergessenen NS-Opfer“ gelten. Lange hing ein Mantel des Schweigens über diesem Kapitel deutscher Geschichte, und auch heute noch ist es vielen kaum bekannt.

Das Projekt „Beredtes Schweigen – NS-Eugenikverbrechen und ihre Folgen“ wird dazu beitragen, dies zu ändern:

Wir recherchieren zu den Lebenswegen Betroffener, die in Weimar und Umgebung lebten und aufgrund von Krankheit, Behinderung oder sozialer Unangepasstheit zwangssterilisiert und/oder ermordet wurden. Auch die Denkmuster, die diese Verbrechen ermöglichten und die ihre Grundlagen im Sozialdarwinismus und in der Ökonomisierung des Menschen finden, verfolgen wir durch die Zeit bis in die Gegenwart. 

Weimar und Jena stehen in unserem Fokus, da ihnen 1933 bis 1945 mit dem von Karl Astel geleiteten „Thüringischen Landesamt für Rassewesen“ (Marienstraße 13/15 in Weimar) und der pseudowissenschaftlich-ideologischen Vorbereitung der Eugenikverbrechen an der Universität Jena eine besondere Rolle zukam. Bisher erinnert im öffentlichen Raum unserer Städte und Dörfer kaum etwas an diese Verbrechen: Wir laufen am damaligen Gesundheitsamt, Standesamt, Krankenhaus, an Altersheimen und Schulen vorbei und erfahren nicht, was hier geschah. Was wissen wir darüber, was mit Neugeborenen, die eine Behinderung hatten, passierte; oder was mit kranken, hilfsbedürftigen oder sozial unangepassten Menschen in den damaligen Erziehungsheimen, Heil- und Pflegeanstalten und Krankenhäusern geschah? 

Und wie gehen wir heute – auch als Gesellschaft – mit Menschen um, die nicht oder anders leistungsfähig sind? Wie sehr prägt uns die Idee einer Leistungsgesellschaft, in der einen „Wert“ hat, wer etwas „schafft“? Was bedeutet uns Krankheit, Gesundheit, „Normalsein“ und „Anderssein“ und nicht zuletzt gesellschaftliche Solidarität? Wie kann eine menschenfreundliche Gesellschaft aussehen?

Neben den historischen werden uns auch diese Fragen beschäftigen und Thema einer Graphic Novel und eines Theaterstückes sein.

Gemeinsam stellen die AG Biologiedidaktik der Universität Jena, der Lernort Weimar e.V. und das Stellwerk-Theater/projekt-il außer den Lebenswegen Betroffener auch Täterorte vor – in Bildungsmaterialien, die Schulen frei zur Verfügung stehen werden, durch Theateraufführungen an einigen dieser Orte und durch Fassadenprojektionen. Ein Workshop richtet sich speziell an die Auszubildenden des Weimarer Klinikums. Ein Symposium an der Universität Jena schließt unser Veranstaltungsprogramm 2024 ab. 

Wir freuen uns sehr, wenn Sie uns begleiten, sich einbringen, unsere Angebote nutzen.

Kontaktieren Sie uns, wenn Ihre damals in Weimar und Umgebung wohnhafte Familie von den Eugenikmaßnahmen betroffen war und Sie mit uns mehr darüber herausfinden möchten.

Kommen Sie 2024 ins Theater – zum Zuschauen oder Mitspielen -, kommen Sie zum Symposium, in die Lesung der Graphic Novel, zu den Fassadenprojektionen …

Kontakt

Karl Porges
Projektleiter
karl.porges@uni-jena.de 

Jonny Thimm
interne Projektkoordination
kontakt@lernort-weimar.de
0175 543 10 58

Steffi von dem Fange
Biographierecherche
steffi.von.dem.fange@uni-jena.de
0178 206 89 40

Projektpartner

Friedrich-Schiller-Universität Jena, Fakultät für Biowissenschaften, Institut für Zoologie und Evolutionsbiologie, AG Biologiedidaktik

Inhalte und Methoden des Biologieunterrichts sind stets auch ein Spiegel ihrer Zeit und u.a. abhängig von Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft der jeweiligen Epoche. Der Biologieunterricht des 21. Jahrhunderts scheint dabei von zentralen fachübergreifenden Aufgaben bestimmt wie Gesundheitserziehung, Umweltbildung und Bioethik. Alle diese Aufgaben sind auf das bewusste und aktive Handeln der Schüler*innen in der (jeweiligen) Gesellschaft ausgerichtet, denn gerade im Zeitalter wachsender Globalisierung, der Verknappung der natürlichen Ressourcen und der Pandemie mit Sars-CoV-2 kommt den oben angeführten Punkten besondere Bedeutung zu. Hier muss auch die (zukünftige) Biologielehrkraft eindeutiger Position beziehen und sich seiner Verantwortung bewusst stellen. 

In der Arbeitsgruppe Biologiedidaktik in Jena werden das Lehren und Lernen biologischer Inhalte erforscht sowie die daraus resultierenden Erkenntnisse als zentrale Komponenten der akademischen Lehramtsausbildung an zukünftige Biologielehrer*innen für Gymnasien und Regelschulen weitergegeben. Die Biologiedidaktik bietet Einblicke in das Was, Wie und Warum des Lehrens und Lernens. Hier werden fachwissenschaftliche Inhalte für den Unterricht didaktisch-methodisch aufgearbeitet und konkrete Vorschläge gemacht, wie diese in den Unterricht und Schulalltag integriert werden können. Das umfasst derzeit Themenbereiche mit biologischem Hintergrund wie zum Beispiel Nachhaltigkeit, Bioethik, rassismuskritische Bildungsarbeit oder die Gesundheitserziehung und Gesundheitsprävention.

www.biodidaktik.uni-jena.de

Lernort Weimar e. V.

Der gemeinnützige Verein fördert historisch-politische Bildung – schulisch wie außerschulisch ­– mit Schwerpunkt auf der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus. Er widmet sich der Erforschung und Aufarbeitung der Geschichte der Stadt Weimar und des Umlandes. Die Ergebnisse werden in Seminaren, Workshops, Stadtrundgängen, Ausstellungen, Publikationen u.a. umgesetzt.

Seit 2007 organisiert der Verein die Weimarer Stolpersteinverlegungen mit Veranstaltungen zu den Lebenswegen der Verfolgten. 

In ihren letzten Projekten widmeten sich die Vereinsmitglieder der Erforschung von Biografien von im Nationalsozialismus Verfolgten, beschäftigten sich mit der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ und „rassehygienischen“ Maßnahmen in den 1930er und 40er Jahren sowie mit dem jüdischen Leben und den Mechanismen seiner Ausgrenzung in Weimar. Die Rechercheergebnisse sind auf www.lernort-weimar.de auf einer Karte, in Texten und Ausstellungen aufbereitet.

www.lernort-weimar.de

Stellwerk junges theater

Das stellwerk junges theater (stellwerk weimar e.V.) ist ein freies Theater mit Sitz in Weimar, Thüringen. Gegründet wurde der Verein im September 1999 und hat seit 2002 seine eigene Spielstätte direkt am Weimarer Hauptbahnhof. Neben dem laufenden Spielbetrieb bietet das stellwerk ganzjährig Kurse und Workshops für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an, die mit zeitgenössischen Kunst- und Theaterformen arbeiten. Dazu kommen regelmäßige Kooperationen mit Schulen, Kulturinstitutionen und anderen freien Trägern in Weimar und Umgebung.

Schwerpunkt der Arbeit mit den jungen Menschen bilden kulturelle Bildung und zeitgenössische Theaterpädagogik. Eine besondere Qualität und Kernstück des Hauses stellt der Spielplan dar, der sich aus Inszenierungen gestaltet, deren Ensembles ausschließlich aus jungen Menschen bestehen. Im Sinne der ästhetischen Forschung geht es dabei um eine diverse Auseinandersetzung mit der jeweiligen Stückvorlage oder einem Thema aus künstlerischer, wissenschaftlicher sowie persönlicher Perspektive. 

www.stellwerk-weimar.de

Künstlerische Leitung des Theaterstücks: projekt-il

projekt-il ist eine 2013 gegründete Arbeitsplattform von Theaterschaffenden und Künstler*innen in Düsseldorf. projekt-il besetzt mögliche Bühnenräume mit generations- und kulturübergreifenden Formaten, immer in Zusammenarbeit mit bildenden und darstellenden Künstler*innen. 

Eine besondere Rolle spielt der autobiographische Blick auf den Lebensalltag und der transkulturelle Austausch über gegenwärtige Fragen an Familie und Gesellschaft. Die Arbeit mit und für Menschen aus der eigenen Umwelt ist dabei sowohl Grundlage als auch Projektionsfläche der künstlerischen Arbeit von projekt-il. Es entstehen Theater- und Kunstprojekte, die den öffentlichen Raum mit traditionellen Bühnenräumen verschmelzen, Übergänge von Kunst und Alltag erschaffen und Ausstellungsformate theatral erweitern. 

Seit 2013 hat projekt-il Inszenierungen für das FFT Düsseldorf, das Düsseldorfer Schauspielhaus, das Nationaltheater Weimar, das Asphalt Sommerfestival der Künste und dem Düsseldorf Festival umgesetzt. Alexander Steindorf als Mitglied von projekt-il setzt sich seit vier Jahren aktiv als Schauspieler in verschiedenen Produktionen mit Erinnerungsarbeit zum Komplex NS-Verbrechen auseinander. 

www.projekt-il.art