16.02.2025 · Steffi von dem Fange

Städtisches Krankenhaus Weimar

Das Weimarer Städtische Krankenhaus wurde von 18291 bis 1832 am Nordhang des Kirschbergs errichtet. Das zweigeschossige Gebäude verfügte über 30 Betten und wurde in den folgenden Jahrzehnten stetig vergrößert. 1920 hatte es schon 100 Betten, außerdem wurden im Umfeld Gärten und Parkanlagen geschaffen.

Anfang der 1930er Jahre wurde die Möglichkeit geprüft, ein neues Krankenhaus zu bauen. Da ein Krankenhausneubau jedoch zu kostspielig war, wurde das bestehende Krankenhaus am Kirschberg von 1933 bis 35 um einen neuen Flügel erweitert und modernisiert. 

Doch schon bald erwies sich auch das erweiterte Krankenhausgebäude als zu klein. Im November 1940 heißt es im Geschäftsbericht des Städtischen Wohlfahrtsamtes2, das für die Krankenhausverwaltung zuständig war, daß ein Krankenhausneubau als eine „unabweisbare Notwendigkeit“ bezeichnet werden kann. Für einen Neubau nach dem Krieg sollten schon „größere Vorarbeiten“ geleistet werden. Doch nicht nur die Räumlichkeiten erwiesen sich als ungenügend: Hinzu kam die Einberufung vieler Ärzte zur Wehrmacht, was ab 1941 zu einem Ärztemangel führte.3

In den Folgejahren wurde die Bettenzahl stetig aufgestockt. Da immer mehr Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter behandelt werden mussten, ordnete der Reichsarbeitsminister 1942 an, eine sogenannte Ausländerbaracke zu errichten. Die zur Verfügung gestellte Baracke wurde auf dem Grundstück des Krankenhauses aufgestellt, ab dem Frühling 1943 war sie mit 28 Betten in Benutzung.4

Im selben Jahr wurde die Isolierabteilung aus Luftschutzgründen geräumt und in die Belvederer Allee 6 verlegt. Diese Villa gehörte der Weimarer Sängerin Jenny Fleischer-Alt, die sich 1942 der drohenden Deportation durch Suizid entzog.5 Als sogenanntes Judenhaus wurde ihr Haus zur Sammlung von Weimarer Jüdinnen und Juden genutzt. Seine Bewohner wählten angesichts der Deportationen den Freitod oder wurden in den Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern Theresienstadt und Belzyce ermordet. Danach beschlagnahmte die Gestapo Vermögen und Haus der Fleischer-Alt, ihr Besitz wurde zugunsten des Reichs eingezogen und schließlich vom Finanzamt Weimar versteigert. Der rechtmäßige Erbe ging leer aus. 
Anderthalb Jahre nach Jenny Fleischer-Alts Tod, im Spätherbst 1943, wurde die neue Isolierabteilung des Krankenhauses mit 60 Krankenbetten in Betrieb genommen.

Insgesamt verfügte das Krankenhaus 1943 über 225 Betten, 1944 erhöhte sich die Zahl um weitere 26 Betten. Im inzwischen angebauten Luftschutzbunker war Raum für 35 bis 40 Krankenbetten.6 1944 wurde die maximale Bettenzahl des Krankenhauses erhöht auf 251 Betten, einschließlich der alten Isolierbaracke, der neuen Isolierabteilung und der Baracke für Zwangsarbeiter*innen.7

Das Städtische Krankenhaus und das KZ Buchenwald

Das Krankenhaus war nicht nur für die Bewohner Weimars und seiner Umgebung zuständig. Ab 1937, dem Jahr der Errichtung des Konzentrationslagers Buchenwald, wurden am Kirschberg auch KZ-Häftlinge behandelt.8 Sie kamen mit Arbeitsverletzungen, Infektionskrankheiten und Schusswunden. Ihre Verletzungen und Krankheiten, die körperlichen Zeichen der Überarbeitung und Unterernährung sprachen für sich – den Ärzten, Pflegern und Krankenschwestern musste klar sein, wie die Häftlinge des Lagers behandelt wurden. 

1938 wurde im Konzentrationslager ein Häftlingskrankenbau errichtet, von nun an fand die Behandlung dort statt. Die Angehörigen der SS-Mannschaften wurden weiterhin in Weimar behandelt, im Krankenhaus stand ihnen ein eigener Sonderbereich zur Verfügung, zu dem nur die SS mit ihren Ärzten Zutritt hatte. Es ist zu vermuten, dass hier auch die SS-Angehörigen betreut wurden, die sich 1938 und 1939 an Typhus und der Ruhr angesteckt haben. In diesen Jahren brachen Epidemien im Lager aus, an denen Hunderte Häftlinge ohne medizinische Betreuung verstarben. 

Nachdem sich die Krankheitsfälle auch in den anliegenden Dörfern mehrten9 und die Gesundheit sogenannter deutscher Volksgenossen gefährdeten, schritten die Gesundheitsämter der Stadt Weimar und des Weimarer Landkreises ein. 1939 wurde endlich eine Kläranlage nahe des Lagers gebaut, bis dahin floss das Abwasser des Lagers auf dem Ettersberg ungeklärt ab. 

Begünstigt wurden diese Epidemien durch den Wassermangel im Lager, bedingt durch die maroden Wasserleitungen von Weimar nach Buchenwald.10 1938 standen jedem SS-Mann täglich ein halber Liter, jedem Häftling täglich ein Viertel Liter Wasser zur Verfügung. Entsprechend katastrophal waren die hygienischen Bedingungen. Erst ab 1941/42 verbesserte sich die Wasserversorgung des Lagers – zumindest für die SS – durch die Errichtung einer Hochdruckwasserleitung von Tonndorf im Ilmtal auf den Ettersberg. Das Problem der Epidemien unter den Häftlingen blieb allerdings weiterhin bestehen.

Zwangssterilisationen von KZ-Häftlingen

Im Weimarer Krankenhaus wurden 1937 und 1938 nicht nur Schusswunden, Verletzungen und Krankheiten der KZ-Häftlinge behandelt, sondern bis 1939 auch Zwangssterilisationen durchgeführt. Von 1938 sind 221 Fälle bekannt. Das sind umgerechnet mehr als vier Sterilisationen von Häftlingen pro Woche.

Einer der ersten Häftlinge, die das betraf, war Werner Brand (Name geändert). Der 38jährige Hamburger Handlungsgehilfe kam aus dem Konzentrationslager Lichtenburg bei Torgau nach Buchenwald. Nach seiner Ankunft am 31.7.1937 musste er helfen, das Lager aufzubauen. 

Einen Tag zuvor beschloss das Erbgesundheitsgericht Hamburg seine Sterilisation, die in Weimar durchgeführt wurde. In seiner Krankenakte kann der Beschluss des Erbgesundheitsgerichts nachgelesen werden. Dort heißt es, laut einem ärztlichen Gutachten sei die Unfruchtbarmachung wegen „angeborenen Schwachsinns“ zu erwägen. Man kann in der Begründung gut verfolgen, welche Mühen sich die Ärzteschaft machte, die Diagnose des angeborenen Schwachsinns vage zu halten und möglichst stark auszuweiten. Dabei flossen ihre eigenen sozialen Wertvorstellungen in die angeblich objektive medizinische Diagnose ein: 

„Herr […] [Brand] hat ein schlechtes Leben geführt. Er hat viele Betrügereien und Diebstähle begangen. Die ärztliche Untersuchung ergab, daß bei ihm Intelligenzdefekte im landläufigen Sinne nicht nachzuweisen sind. Einer formellen Intelligenzprüfung bedarf es deshalb nicht, da er die einfachen Fragen der üblichen Intelligenzprüfung – mit der schwere Intelligenzdefekte ermittelt werden sollen – ohne weiteres beantworten kann.

Seine Straftaten lassen aber eine erhebliche verbrecherische Energie erkennen. Ihm gelangen erhebliche Täuschungen und Überlistungen seiner Opfer. Die Raffiniertheit seiner Straftaten kann aber nicht als Zeichen guter Begabung gewertet werden. Raffiniertheit ist eine minderwertige Eigenschaft und hat mit Klugheit nichts zu tun. Sie muß vielmehr als Zeichen erblicher Belastung aufgefaßt werden. Hinzu kommt die Arbeitsscheu, mit der Herr […] [Brand] sich häufig vor Arbeit drückte, und sogar Krankheit vortäuschte, um ihr zu entgehen. Dieses alles macht einen erbmäßig angelegten Komplex aus, der unter dem Namen des angeborenen Schwachsinns zusammengefaßt wird und sich weniger in übermäßiger Dummheint, als vielmehr in eindeutigem schweren Versagen in der Lebensführung, in der Unfähigkeit zu sozialer Einordnung ausspricht.“11

Um es zusammenzufassen: Dem Häftling werden Raffiniertheit und Arbeitsunwille unterstellt, und diese Eigenschaften lassen die Gutachter zweifelsfrei auf sogenannten angeborenen Schwachsinn schließen. 

Werner Brand wurde gedrängt, der Sterilisation zuzustimmen. Am 17. August operierten ihn die Ärzte des Krankenhauses am Kirschberg, nach sechs Tagen musste er das Krankenhaus verlassen. Am 16. Oktober wurde er im KZ Buchenwald erschossen.

Zwangssterilisationen von Weimarer*innen

Doch nicht nur KZ-Häftlinge wurden im Krankenhaus am Kirschberg zwangssterilisiert. Für die Zeit bis 1943 sind ca. 700 Unfruchtbarmachungen an Weimarern bekannt, ebenso mussten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter die Operationen über sich ergehen lassen. Unter den Weimarer Einwohner*innen, die als eine Gefahr für die Volksgesundheit angesehen wurde, waren Männer, Frauen und Kinder; ganze Familien wurden operiert. 

Zu ihnen gehörte Klara Schwägler, die hier vorgestellt wird. Betroffen ist auch Norbert Lang (Name geändert), der stellvertretend für viele stehen kann. Er wurde 1921 geboren. Sein Vater arbeitete bei der Bahn und später, unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit, als Transportarbeiter bei der Firma Staupendahl. Seine Mutter starb 1929, als Norbert acht Jahre als war. Sein Vater und er mussten oft innerhalb Weimars umziehen – von einer beengten Arbeiterwohnung am Stadtrand in die nächste. 

Der Jugendliche fällt wegen Diebstählen und „ungünstigen häuslichen Verhältnissen“ auf, es wird staatliche Fürsorge angeordnet.12 Als er 14 Jahre ist, beschließt das Erbgesundheitsgericht Weimar, ihn zu sterilisieren.13 Mehrfach kommt er der Aufforderung, sich im Städtischen Krankenhaus am Kirschberg einzufinden, nicht nach. Auch sein Vater hält das Versprechen gegenüber dem Amtsarzt Freienstein, seinen Sohn dort abzuliefern, nicht ein. Am Morgen des 22. Oktober 1935 holt die Polizei Norbert zu Hause ab, noch am selben Tag erfolgt die Operation.14

Dasselbe Schicksal ereilt vier Jahre später seinen Vater: Auch er wird zwangsweise sterilisiert.15

Kinder darf Norbert nicht in die Welt setzen, doch für die Volksgemeinschaft kämpfen soll er: Am 9. Januar 1945, kurz vor seinem 24. Geburtstag, stirbt er an der Westfront. Auf der Rückseite der Todesmeldung ist handschriftlich notiert: „Bauchschuß“, außerdem der Name und die Adresse seiner jungen Braut.16

In Weimar wurden auch 1944 noch Zwangssterilisationen durchgeführt, und am 7. Mai 1945, gut drei Wochen nach Übergabe der Stadt Weimar an die amerikanische Armee, notierte eine Mitarbeiterin des für das Krankenhaus zuständigen Wohlfahrtsamtes, dass die Kosten für die Sterilisation eines Zwangsarbeiters der Gustloff-Werke nicht mehr „zu erlangen“ seien, da die Betriebskrankenkasse der Gustloff-Werke nicht mehr bestehe.17

Auch in Weimar sollte die Volksgemeinschaft noch bis zum völligen Zusammenbruch des deutschen Reichs „reingehalten“ werden.


Quellennachweise

Stadtarchiv Weimar: 
12/5-51-14
12/5-55-48
6-61-24/1
6-61-23
Sterberegister für die Stadt Weimar 1947
Städtisches Krankenhaus Weimar – Krankenakten, Bd. 1


www.weimar-im-ns.de
https://lernort-weimar.de/stolpersteine/jenny_fleischer-alt_familie_gal/eine-glockenhelle-stimme-wird-zum-schweigen-gebracht/

Dr. Christiane Wolf, Jonny Thimm: Scanning Weimar, Orte der NS-Zeit, DVD, Weimar 2006

Buchenwald-Spuren, Spuren des Konzentrationslagers Buchenwald als Teil der Topographie der Moderne in Weimar, hg. v. Hans-Rudolf Meier, Dr.-Ing. Mark Escherich, Dr.-Ing. Iris Engelmann, u. a., Bauhaus-Universität, Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, 2017


Endnoten

  1. Weimar-im-ns.de
  2. StadtAW, 12/5-51-14, Geschäftsbericht 1940
  3. StadtAW, 12/5-51-14, Geschäftsbericht 1941
  4. StadtAW, 12/5-51-14, Geschäftsbericht 1943
  5. Vgl. https://lernort-weimar.de/stolpersteine/jenny_fleischer-alt_familie_gal/eine-glockenhelle-stimme-wird-zum-schweigen-gebracht/
  6. StadtAW, 12/5-51-14, Bericht über wesentliche Veränderungen im Städt.Krankenhaus im Kalenderjahr 1943 vom 29.12.1943
  7. StadtAW, 12/5-51-14, Bericht der Wohlfahrtsbehörde vom 20.3.1944 an den Oberbürgermeister
  8. Vgl. Dr. Christiane Wolf, Jonny Thimm: Scanning Weimar, Orte der NS-Zeit, DVD, Weimar 2006, Eintrag zum Krankenhaus
  9. StadtAW Nr. 12, 7-75-50, Bl. 36v / Buchenwald-Spuren S. 13
  10. Buchenwald-Spuren, Spuren des Konzentrationslagers Buchenwald als Teil der Topographie der Moderne in Weimar, S. 179
  11. StadtAW, Städtisches Krankenhaus Weimar – Krankenakten Bd. 1, 1937, Lfd. Nr. 874
  12. StadtAW, 12/5-55-48, Bl. 54
  13. StadtAW, 12/2-26-7, Bl. 38
  14. StadtAW, 12/2-26-7, Bl. 43
  15. StadtAW, 12/6-61-24/1
  16. Sterberegister der Stadt Weimar 1947, Nr. II/117
  17. StadtAW, 12/6-61-23