21.02.2025 · Carla Porges

Landesheil- und Pflegeanstalt Pfafferode/Mühlhausen

Die 1912 in Betrieb genommene Landesheil- und Pflegeanstalt Pfafferode (heute: Ökumenisches Hainich-Klinikum) beteiligte sich umfassend an dem „rassenhygienischen“ Programm der Nationalsozialisten. So wurden Patienten der Landesheilanstalt zwangssterilisiert, in Tötungsanstalten verlegt und an ihnen Menschenversuche durch das Institut für Wehrhygiene durchgeführt.

Eine der ersten eugenischen Maßnahmen, welche von der nationalsozialistischen Regierung implementiert wurde, war die Verabschiedung des „Gesetztes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Dieses am 14. Juli 1933 verabschiedete Gesetz ermöglichte die Durchführung von Zwangssterilisation. Die ersten Zwangssterilisationen von Patienten aus Pfafferode wurden zunächst im städtischen Krankenhaus in Mühlhausen ausgeführt. Auf Initiative des Direktors Paul Langer, welcher die Anstalt bis Oktober 1934 leitete, erfolgten Zwangssterilisationen später auch vor Ort an der Landesheilanstalt. Zuerst an Männer und ab 1935 auch an Frauen.1
Im Rahmen der zentral organisierten Gasmordaktion „Aktion T4“ erfolgte ab 1939 die Erfassung der Patienten aller Heil- und Pflegeanstalten mittels Meldebogen. Diese enthielten unter anderem Angaben zur Diagnose, Verweildauer und der Arbeitsleistung der Patienten. Die Landesheilanstalt Pfafferode sendete, unter Missachtung der ärztlichen Schweigepflicht, bis zum 31. August 1941 mindestens 1062 ausgefüllte Meldebögen an die Abteilung „Erb- und Rassenpflege“ beim Reichsministeriums des Inneren nach Berlin.2 Außerdem wurden „T4“ Inspektionen an der Anstalt durchgeführt. Von der Landesheilanstalt aus erfolgte die Verlegung von Patienten in mehreren Transporten in die Zwischenanstalten Altscherbitz und Uchtspringe. Durch die „Aktion T4“ kamen mindestens 313 Patienten aus Pfafferode zu Tode. Aufgrund der zentralen Lage diente Pfafferode zum Ende des Krieges als Zuflucht für Mitarbeitenden der „T4“ Zentrale.3 Darunter der „T4“ Gutachter Dr. Viktor Ratka sowie der Leiter der Zentralverrechnungsstelle Hans Joachim Becker.4 Zum Ende des Krieges wurden Akten der Zentralverrechnungsstelle für Heil- und Pflegeanstalten unter der Gegenwart Steinmeyers an der Landesheilanstalt verbrannt.5

Deutlich mehr Patienten kamen in Pfafferode durch die „dezentrale Euthanasie“ ums Leben.  Bereits vor der „Aktion T4“ erfolgte 1938 eine Verlegung von 93 Kindern aus dem Sankt Johannes Stift Ershausen in die Heilanstalten Pfafferode und Uchtspinge. Von diesen Kindern verstarben 86 innerhalb kurzer Zeit.6 Nach dem Stopp der „Aktion T4“ erfolgten weitere Verlegungen aus anderen Anstalten nach Pfafferode. Von 1642 dokumentierten Patienten, die aus anderen Einrichtungen verlegt wurden, verstarben 63 % in der Landesheilanstalt.7 Mit der Beendigung der „Aktion T4“ lag die Auswahl der zu Tötenden nun nicht mehr bei den entsprechenden Gutachtern, sondern bei den Leitern der einzelnen Anstalten. Direktor Dr. Theodor Steinmeyer, der die Einrichtung von 1943 bis 1945 leitete, gilt als ein radikaler Vertreter der NS-„Euthanasie“. Er war unter anderem als Gutachter für die „Aktion T4“ und „14f13“ tätig. Unter ihm stieg die Patientensterblichkeit 1944 in der Anstalt durch Hungerkost und Medikamentengabe auf 49,3 Prozent.8
 
Als eine von elf „zuverlässigen Anstalten im Reich“ nahm Pfafferode „psychisch auffällige Ostarbeiter“ aus den Gauen Thüringen, Sachsen und Anhalt auf.9 Führte die Behandlung der Zwangsarbeiter innerhalb von maximal sechs Wochen nicht zur Heilung wurden auch sie Opfer der „Euthanasie“.10
Im Januar 1944 wurden an der Landesheilanstalt Pfafferode zwei Abteilungen des Institutes für Wehrhygiene der Luftwaffe angesiedelt.11 Unter Leitung von Dr. Günter Blaurock und seinem Stellvertreter Hermann Eysel wurden Medizinversuche u. a. zur Unterkühlung sowie Malariaforschung an vorwiegend an schizophrenen Patienten durch.
Durch die Beteiligung der Landesheilanstalt Pfafferode am „Euthanasie“-Programm der Nationalsozialisten kamen geschätzt ca. 3000 Patienten ums Leben.12
Trotz aufgenommener Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeitenden der Landesheilanstalt nach dem Krieg wurden die nationalsozialistischen Eugenikverbrechen in Thüringen kaum strafrechtlich verfolgt. Steinmeyer wurde zwar festgenommen, man fand ihn jedoch im Mai 1945 tot in seiner Zelle auf. Durch seinen Tod bestand für die weiteren Angestellten der Anstalt die Möglichkeit eine eigene Mittäterschaft einstimmig zu leugnen.  Dr. Blaurock leitete nach dem Krieg unbehelligt, trotz Kenntnis der Malariaversuche von Seiten der Entnazifizierungskommission, das Thüringische Robert-Koch-Institut und übernahm 1952 die Direktion des bakteriologischen Institutes in Ost-Berlin.13
Am 07. Oktober 2000 erfolgte die Aufstellung eines Gedenksteins für die Patienten, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, im Foyer des Verwaltungsgebäudes des Hainich Klinikums.  Heute steht der Gedenkstein im Eingangsbereich des Neurologisch-Psychiatrischen Zentrums. Im Jahr 2021 erfolgte zusätzlich die Errichtung eines Denkmals von Annett Ternes für die „Euthanasie“ Opfer auf dem Gelände des Klinikums.14


Endnoten

  1. Kublik S., Adler L. Die Entwicklung des Hainich-Klinikums von der Gründung 1912 bis zur Anfangszeit der DDR 1958. In Adler L., Dützmann K., Goethe E. [Hrsg.] 100 Jahre Pfafferode 1912-2012. Von der Preußischen Landesheil- und Pflegeanstalt bis zum Ökumenischen Hainich Klinikum gGmbH. René Burkhardt Verlag Erfurt 2012. S. 59.
  2. Willy Schilling. Ärzte und das System nationalsozialistischer Euthanasie in Thüringen. In: Menschliche Verantwortung gestern und heute. Schriftenreihe der Landesärztekammer Band 4. Landesärztekammer 2008. Seite: 99.
  3. Ernst Klee. „Euthanasie“ im Dritten Reich. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Fischer Taschenbuch. 4. Auflage 2022. S. 251
  4. Ernst Klee. „Euthanasie“ im Dritten Reich, a.a.O., S. 478, 583.
  5. Willy Schilling, Ärzte und das System nationalsozialistischer Euthanasie in Thüringen, a.a.O., S.121.
  6. Willy Schilling. Hitlers Trutzgau Thüringen im Dritten Reich Band II. Verlag Bussert & Stadeler 2008. S. 48.
  7. Willy Schilling. Ärzte und das System nationalsozialistischer Euthanasie in Thüringen, a.a.O., S.118.
  8. Kublik S., Adler L.: Die Entwicklung des Hainich-Klinikums von der Gründung 1912 bis zur Anfangszeit der DDR 1958, a.a.O., S. 70.
  9. Ernst Klee. „Euthanasie“ im Dritten Reich, a.a.O., S. 303.
  10. Bremberger Bernhard „Ostarbeiterinvasion“ und „phantastische „Mortalität“. Die Tötung kranker Ausländischer Zwangsarbeiter in der Heil- und Pflegeanstalt Pfafferode 1944-1945. Acta Universitatis Lodziensis. Folia Philosophica. Ethica-Aesthetica-Practica, (37), 87-106. https://doi.org/10.18778/0208-6107.37.07; 
    Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und dem Studienkreis deutscher Widerstand 1933-1945[Hrsg.]. Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu den Stätten des Widerstandes unter der Verfolgung 1933-1945 Band 8 Thüringen. VAS 2003. S. 310; 
    Willy Schilling. Ärzte und das System nationalsozialistischer Euthanasie in Thüringen, a.a.O., S.120.
  11. Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und dem Studienkreis deutscher Widerstand 1933-1945[Hrsg.]. Heimatgeschichtlicher Wegweiser, a.a.O., S. 310.
  12. Willy Schilling. Ärzte und das System nationalsozialistischer Euthanasie in Thüringen, a.a.O., S.118.
  13. Kublik S., Adler L. Die Entwicklung des Hainich-Klinikums von der Gründung 1912 bis zur Anfangszeit der DDR 1958, a.a.O., S. 76
  14. www.muehlhausen.de/rathaus-erkunden/stadtverwaltung/stadtarchiv-stadtbibliothek/stadtarchiv/denkmale-orte/gedenkstein-pfafferode/