10.09.2024 · Steffi von dem Fange

Kurt Apel

Kurt Apel wurde im Januar 1911 in Weimar in eine Handwerkerfamilie geboren und wuchs im Bahnhofsviertel auf.
 
1919 war ein bewegtes Jahr für den Jungen: Kurz vor seinem achten Geburtstag wurde sein Bruder Hans* (Name geändert) geboren, Hans’* Zwillingsschwester kam tot auf die Welt. Und in seiner Heimatstadt herrschte Unruhe: Weimar wurde für einige Monate zum politischen Zentrum Deutschlands, und seine Straßen belebten sich mit Abgeordneten und Delegierten der Deutschen Nationalversammlung. Journalisten berichteten aus Weimar von der Ausarbeitung der Verfassung für die erste deutsche Demokratie. Mehr als 2000 Menschen aus aller Welt belebten die sonst so bürgerlich-ruhige Kulturstadt.1
 
In diesem Umbruchjahr ging Kurt Apel in die erste Klasse. Später erhielt er in der Aufbauschule in der Seminarstraße (heute Gropiusstraße) eine höhere Schulbildung und legte Mitte der 1920er Jahre die Reifeprüfung ab. Danach lernte er im Versicherungswesen. Noch bevor er richtig in den Beruf einsteigen konnte, erkrankte er 1929 an Paratyphus2 und wurde wegen einer Nierenentzündung einige Wochen in der Jenaer Klinik behandelt.
In den folgenden Jahren fand Kurt eine Stelle bei der Landesbauernschaft in Weimar, wohnte weiterhin bei den Eltern und dem Bruder in der Horst-Wessel-Straße nahe den Bahngleisen (heute die Friedrich-Ebert-Straße) und verlobte sich. 

Psychische Krise

Er war 26 Jahre alt, als er im Spätsommer 1937 auffällig wurde. Angstgefühle, innere Unruhe und das Gefühl, beobachtet zu werden, brachten ihn dazu, außerhalb der Stadt mit einem Gewehr ein paar Isolatoren einer Telefonleitung kaputtzuschießen.
Darauf folgte am 23. September die Zwangseinweisung in die Psychiatrische und Nervenklinik Jena.
Dort erklärte er, er habe „aus Übermut“ gehandelt. Ärztlich wurde ihm bescheinigt, „impulsive unsinnige Handlungen“3 auszuführen. Kurt Apel war nicht freiwillig in der Klinik und reagierte gereizt, gar zornig und aggressiv auf seine Umwelt. Er fühlte sich schwach und glaubte sich vergiftet.

Diagnose: Schizophrenie

Im Laufe dieser psychischen Krise wurde Kurt Apel in der Nervenklinik Jena als schizophren diagnostiziert.
Die Diagnose „Schizophrenie“ wurde 1908 eingeführt, als Symptome galten Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Stimmenhören. Heute ist beim Auftreten dieser Symptome von einer schizophrenen Psychose die Rede. Damit können Denkstörungen (wie das Herstellen willkürlicher Zusammenhänge) und eine erhöhte Reizbarkeit einhergehen, oft fühlen sich die Betroffenen auch motivationslos, teilnahmslos, zeigen weniger Emotionalität und ziehen sich zurück.4 Ursache sind möglicherweise Veränderungen im Stoffwechsel des Gehirns, die zu einem Ungleichgewicht zwischen Botenstoffen führen. 

Antrag auf Unfruchtbarmachung

Seit 1934 folgte einer solchen Diagnose meist eine Verhandlung am Erbgesundheitsgericht: Menschen mit einer schizophrenen Erkrankung galten als erbkrank und sollten unfruchtbar gemacht werden. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses legalisierte die Sterilisation auch unter Anwendung von Gewalt, sobald der Beschluss des Gerichts rechtsgültig wurde.
 
Auch Kurt Apel wurde nun von der nationalsozialistischen Gesundheitsbürokratie erfasst. Dr. Berger, der Leiter der Klinik, forderte eine „Sippschaftstafel“ an und stellte nur einen Monat nach Kurt Apels Zwangseinweisung einen Antrag auf Unfruchtbarmachung beim Erbgesundheitsgericht Jena.
Eine Rücksprache mit der Familie hielt er nicht für nötig, gesetzlich war sie nicht vorgeschrieben. Das spiegelt Bergers Vorstellung darüber wider, wie die Beziehung zwischen Arzt und Patient auszusehen hat: Sich selbst sah er als Autorität, deren Vorgaben Folge zu leisten war, die Patient*innen hatten weder ein Mitspracherecht bei der Diagnosefindung (z. B. durch die Berücksichtigung ihrer Lebensumstände) noch bei der teils lebensgefährlichen Behandlung.5
 
Das Gesetz forderte von den ärztlichen Antragstellern nicht, die Erblichkeit schizophrener Erkrankungen nachzuweisen. Wenn die Betroffenen sich gegen die Sterilisation zur Wehr setzen wollten, konnten sie nur die Diagnose insgesamt in Frage stellen.
Da Bergers Verständnis des Arzt-Patienten-Verhältnisses in den 1930er Jahren weit verbreitet war und Psychiater untereinander kaum Kritik an den gestellten Diagnosen übten, waren die Hürden hoch.
 
Kurt Apel hatte somit kaum Chancen, einer Unfruchtbarmachung zu entkommen: Er war in einer psychischen Krise und konnte kaum für seine Interessen einstehen, er hatte keine familiäre Unterstützung, da die Familie nicht informiert wurde, hatte keinen Rechtsbeistand und eine Diagnose, die kaum Spielraum für Anfechtungen gab. 

Behandlungsmöglichkeiten

Hinzu kam, dass sich sein Zustand auch in der Nervenklinik nicht besserte.
 
In den 1920er und 1930er Jahren standen die Psychiater den Erkrankungen ihrer Patientinnen und Patienten gegenüber weitgehend hilflos gegenüber und konnten lediglich helfen, die Symptome zu lindern.6 Üblich war die Gabe von Beruhigungsmitteln, Beschäftigung („Arbeitstherapie“) die Verordnung von Bettruhe und Bädern.7
 
Als Kurt Apel die Diagnose „Schizophrenie“ gestellt bekam und vom Klinikleiter zur Unfruchtbarmachung angezeigt wurde, war den Jenaer Ärzten schon seit über einem Jahr eine neue Therapieform bekannt: die Insulinkomabehandlung.8
Diese Möglichkeit, Schizophrenie zu behandeln, führte allerdings nicht dazu, dass die Ärzte der Psychiatrischen und Nervenklinik Jena weniger Sterilisationsanträge stellten.
So hat Kristin Tolk in ihrer Arbeit zur Jenaer Nervenklinik unter Hans Berger herausgestellt, dass die in den „1930er Jahren entwickelten Krampfbehandlungen in der Jenaer Psychiatrie ebenso wie in der gesamten Profession keinen Rückgang der Zwangssterilisationen bewirkten. Die verbreitete Skepsis der Jenaer Psychiater verweist zum einen auf ihre rassenhygienischen Überzeugungen sowie den unbedingten Willen, an der Schaffung eines ‘gesunden Volkskörpers’ mitzuwirken.“9
Hinzu kamen die „eher ernüchternden Erfahrungen mit der therapeutischen Wirksamkeit psychiatrischer Behandlungen“ und die Überzeugung, die Krankheit sei erblich10: „Im Kampf gegen die ‘Erbkrankheit' Schizophrenie setzten sie eher auf Sterilisation als auf potentiell vielversprechende Behandlungsmethoden, deren ursächliche Heilungsmöglichkeiten sie bezweifelten.“11
 
Ob Kurt Apel eine Insulinkomabehandlung erhielt, ist nicht bekannt. Eine Einsicht in die noch vorhandene Patientenakte wurde der Autorin vom Jenaer Universitätsklinikum für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Hinweis, dass dies generell so gehandhabt wird, nicht gestattet.
Doch Kurt Apels Tagesablauf  lässt sich rekonstruieren:12 Er wurde gemeinsam mit den anderen Patientinnen und Patienten der Nervenklinik 6 Uhr geweckt. Sie mussten aufstehen, sich waschen und ankleiden und bekamen um 7 Uhr Frühstück. Ab 8 Uhr blieben sie entweder in ihren Zimmern oder leisteten Hilfstätigkeiten.  Für die 250 Psychiatriepatienten standen neben dem Pflegepersonal sechs Assistenten, ein Oberarzt und der Chefarzt Hans Berger zur Verfügung.13 Dessen Chefvisite um 10 Uhr führte ihn nur ein bis zweimal wöchentlich zu den einzelnen Patienten. Nach dem Mittagessen um 12 Uhr hatte Kurt Apel die Möglichkeit, mit dem Pflegepersonal spazieren zu gehen. Ab 16 Uhr wurde er mit Hilfsarbeiten o. a. beschäftigt.

Prozess vor dem Erbgesundheitsgericht Jena

Berger schätzte Kurt Apel als nicht geschäftsfähig ein, ein Pfleger sollte als sein gesetzlicher Vertreter berufen werden. Da es sich um einen Klinikpatienten handelte, bat Berger um Verfahrensbeschleunigung.14 Der Bitte Bergers wurde nachgekommen: Innerhalb kürzester Zeit forderte der Amtsgerichtsrat des Erbgesundheitsgerichts beim Weimarer Standesamt die Geburtsurkunde und beim Weimarer Einwohnermeldeamt Auskünfte zur Familie an. Am 2. November, sieben Tage nach Antragstellung, wurde der „Volkspfleger“ Herbert Blumberg aus Jena als gesetzlicher Vertreter Kurt Apels bestimmt.

Die Hauptverhandlung fand schon zwei Wochen nach Antragstellung in Jena statt. Beteiligt war u. a. der Jenaer Amtsarzt Spann, vom Weimarer Nervenarzt Armin Müller wurde ein Gutachten vorgelegt.
Laut Protokoll zeigte sich Kurt Apel bei der Verhandlung „deutlich gesperrt“,15 seine Eltern waren nicht anwesend. Niemand hatte sie informiert über den Antrag auf Unfruchtbarmachung und die Verhandlung, ihr Sohn äußerte sich diesbezüglich indifferent.
Die Unfruchtbarmachung wurde beschlossen und zur Begründung angeführt: „Während seines Aufenthaltes in den Universitäts-Nervenkliniken war er aufgeregt, zeitweise gereizt und aggressiv, zeitweise ängstlich. Er zeigte die für Schizophrenie typische Erscheinungen – Vergiftungsgefühle und impulsive unsinnige Handlungen.“16
 
Gegen das Urteil konnte nun Beschwerde beim Erbgesundheitsobergericht eingereicht werden. Die Bestellung eines Pflegers für Kurt Apel bedeutete allerdings, dass dieser Schritt dem Betroffenen selbst verwehrt war. Es lag nun im Ermessen des Pflegers, ob das Urteil hinzunehmen sei oder angefochten werden sollte.

Beschwerden und Eingaben

Am 18. November legte der Pfleger Blumberg Beschwerde ein. Er begründete sie jedoch nicht inhaltlich, sondern mit dem Argument, dass er eine erneute Verhandlung „für notwendig“ halte, „um dem Probanden […] sowie dessen Angehörigen restlose Klarheit über den erhobenen Krankheitsbefund zu geben“.17 Eine erneute Verhandlung – die letzte im Gesetz vorgesehene Berufungsmöglichkeit – sollte also Zwecken der Information nutzen, doch nicht die Sterilisation verhindern.  

Am 10. Dezember 1937 fand im Erbgesundheitsobergericht in Jena eine neue Verhandlung statt.18 Die Vorsitzenden wiesen die Beschwerde zurück mit folgender Begründung:
„Die krankhaften Erscheinungen, die Kurt Apel seit einigen Monaten zeigt, beweisen einwandfrei, daß er an Schizophrenie leidet. Seine grundlose Angst und innere Unruhe, sein unbegründetes Mißtrauen, sein Wahn, beanchteiligt zu sein und verfolgt zu werden, sowie die sonstige, deutlich bei ihm beobachtete Spaltung der gedankenmäßigen Zusammenhänge sind echte Zeichen für dieses Leiden. Der Fall kann gar nicht anders beurteilt werden.“19
 
Zu diesem Zeitpunkt befand sich Kurt Apel noch immer in der Psychiatrischen und Nervenklinik Jena. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sah vor, dass in Anstalten untergebrachte potentielle Sterilisanden nicht entlassen werden durften, bevor nicht über ihre Sterilisation entschieden wurde.
 
Während der Pfleger Blumberg Beschwerde einlegte, machte Kurt Apels Verlobte Maria S. eine Eingabe an den Führer, den Fall zu prüfen und die Unfruchtbarmachung zu verhindern.
Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sah nach einer erneuten Prüfung vor dem Erbgesundheitsobergericht keine weitere Möglichkeit vor, gegen die Zwangssterilisation anzugehen. Die Betroffenen behalfen sich damit, mächtige Institutionen einzuschalten, und beschwerten sich z. B. bei Parteibehörden, der Regierung oder Staatsbehörden.20
 
Auf die Eingabe beim Führer reagierte das Büro des Stellvertreters des Führers mit der Bitte um Übersendung der Unterlagen. Diese Dienststelle befand sich in München und unterstand bis 1941 Rudolf Heß. Sie durfte „in allen Fragen der Parteileitung“ Entscheidungen treffen und wurde regelmäßig gebeten, Beschlüsse der Erbgesundheits(ober)gerichte zu prüfen. Ende des Jahres 1937 wandte sich auch Kurt Apels Vater an den Stellvertreter des Führers – mit einem Gnadengesuch.21

Zumeist bedeutete dieser Schritt lediglich einen Aufschub der Operation. So auch im Falle Kurt Apels: Die Absage vom Stellvertreter des Führers erreichte das Erbgesundheitsgericht Jena am 21. Februar 1938, am nächsten Tag wurde der Beschluss rechtskräftig.

Nun ging es schnell: Sechs Tage später wurde Kurt Apel in der Chirurgischen Klinik Jena zwangssterilisiert und direkt nach der Operation in die Nervenklinik zurückverlegt. Nach Hause durfte er weiterhin nicht.
Anfang April 1938, nach mehr als fünf Monaten in der Jenaer Psychiatrie, wurde Kurt Apel in die Landesheilanstalt Blankenhain verlegt. 

Die Jahre in Blankenhain

Die Heilanstalt Blankenhain versorgte etwa 450 Patientinnen und Patienten, verteilt auf drei Männer- und drei Frauenstationen. Mehr als die Hälfte von ihnen hatten die Diagnose „Schizophrenie“ erhalten, aber auch an Epilepsie und Altersdemenz Erkrankte wurden in Blankenhain aufgenommen.22 Vier der Mitpatienten Kurt Apels wurden aus dem Konzentrationslager Buchenwald überstellt, 28 seiner Mitpatienten galten als zurechnungsunfähige Justizverwahrte, die nach ihrer Verurteilung statt in Strafanstalten in einer Heilanstalt unterzubringen waren.
 
Für die medizinische Betreuung waren neben dem Anstaltsleiter Dr. Hans Hellbach die drei Ärzte Herrmann Brünger, Friedrich Michel und Richard Greiner zuständig.23 Alle vier Ärzte traten im Laufe der 1930er Jahre in die NSDAP ein; der Direktor Hellbach und Dr. Brünger waren zudem Fördermitglieder der SS. Die Pflege übernahmen knapp 120 Pflegekräfte, von denen 73 Prozent Mitglied der NSDAP oder einer der angeschlossenen Organisationen wurden.24
 
Ende 1939 erhielt das Pflegepersonal durch Hauptwachmeister Kirmse eine Ausbildung im Gebrauch der Waffe. Unklar bleibt, ob die Pfleger und Schwestern stets Waffen tragen durften oder nur bei der Betreuung Sicherheitsverwahrter.25
 
Die Behandlung zielte in Blankenhain ähnlich wie in Jena auf die Milderung der Symptome ab –bzw. auf die Ruhigstellung der Patient*innen: Neben der Sedierung durch Beruhigungsmittel stand die Methode der Dauerbäder, die seit Ende des 19. Jahrhunderts Einzug in die Psychiatrie hielt. Die Patient*innen mussten über Tage oder Wochen hinweg mehrere Stunden täglich in Badewannen mit lauwarmem Wasser liegen.26
 
Ein in der Landesheilanstalt Blankenhain wichtiger Therapieansatz war die Arbeits- und Beschäftigungstherapie in der Anstalt und auf dem zugehörigen Landwirtschaftsbetrieb „Krakau“. Der ermöglichte die Versorgung der Bewohner*innen mit selbst angebauten Lebensmitteln, hielt sie beschäftigt – mit teils schwerer Arbeit – und senkte die Verpflegungskosten. Ob auch Kurt Apel zur Arbeitstherapie eingeteilt war, ist nicht überliefert.

Die Versuche des Vaters, den Sohn nach Hause zu holen

Sein Vater bemühte sich mehrfach, seine Situation zu verbessern. Er besuchte seinen Sohn in der Anstalt, bat dort um dessen Entlassung nach Hause und sprach immer wieder beim Weimarer Amtsarzt Freienstein vor, der in den Vorgang aufgrund der Weimarer Meldeadresse Kurt Apels eingebunden war. Freienstein erkundigte sich Anfang Mai 1938 in Blankenhain:
 
„Der an Schizophrenie erkrankte Kurt Apel aus Weimar, geb. 17.1.1911, soll sich in der dortigen Anstalt befinden. Der Vater wünscht seine Entlassung, falls er entlassungsfähig ist. Ich bitte um Mitteilung über seinen derzeitigen Zustand, über seine derzeitige soziale Eingliederungsfähigkeit und darüber, ob seine Entlassung möglich oder demnächst zu erwarten ist. Die häuslichen Verhältnisse des Apel scheinen mir günstig zu sein. Falls er entlassungsfähig ist, bitte ich um Mitteilung, ob seine weitere Überwachung durch mich erforderlich ist.“27
 
Die Antwort des Stellvertreters des Direktors, Dr. Herrmann Brünger, war kategorisch:
 
„Eine Entlassung des am 1.4.38 von der psychiatr. Klinik Jena nach hier überführten, an Schizophrenie leidenden Kurt A. aus Weimar ist noch nicht möglich, wie das seinem Vater gelegentlich von Besuchen auch bereits wiederholt mitgeteilt worden ist. A. bietet noch das volle Bild einer Schizophrenie mit unruhig-zerfahrenem Wesen, Sinnestäuschungen und starken Größenideen.“28

Der Vater ließ sich nicht beirren und wiederholte seine Besuche beim Amtsarzt. Auch in Blankenhain war er in den folgenden Jahren immer wieder zu Besuch und musste mitansehen, wie sein Sohn mit der Zeit immer wirrer und unruhiger wurde.
In der sehr lückenhaften Blankenhainer Patientenakte Kurt Apels – es sind nur vier Blätter erhalten – ist vermerkt, dass er am 2. Juni 1940 Besuch von seinem Vater bekam. Ein Gespräch war kaum möglich, auf die Fragen des Vaters antwortete er verworren. Mitte Juni 1940 wurde er unruhiger, schlief nachts kaum und stand auf, sprach leise und unverständlich, lief umher und betastete Stellen an der Wand. Auf diese rastlose Phase folgten ruhigere Tage, in die der nächste Besuch seines Vaters und seines Onkels fiel. Auch am 21. Juli war ein Gespräch nicht möglich. Im August 1940 wechselten wieder angespannte mit ruhigeren Zeiten. Gegen die Unruhe und Aggressionen erhielt Kurt Apel abends Paraldehyd, ein übel schmeckendes Sedativum, das zwar nicht seine Schlaflosigkeit verhindern konnte, ihn aber ruhig hielt.29
Die Eintragungen enden mit dem Wort „Verlegung.“30

Die Räumung der Anstalt …

Nach zweieinhalb Jahren Aufenthalt in Blankenhain musste Kurt Apel am 2. September 1940 die Landesheilanstalt verlassen. Mit 32 seiner Mitpatienten31 wurde er in die Heilanstalt Zschadraß bei Leipzig verbracht. Nach zwei weiteren Sammeltransporten am 23. und 24. September war die Heilanstalt Blankenhain geräumt.
 
Wenige Tage zuvor, am 30. August – einem Freitag –, hatte Karl Astel32 die Anstalt besucht und der Leitung mitgeteilt, dass die Heilanstalt Blankenhain zum 1. April 1941 aufgelöst und die Patient*innen in anderen Heilanstalten untergebracht werden sollen.33
Die im September 1940 stattfindenden Verlegungen wurden unangekündigt durchgeführt, selbst die Leitung der Heilanstalt erfuhr im Vorfeld keine Details zu den Terminen.34 Die Allgemeine Thüringer Landeszeitung kündigte am 31. August 1940, einen Tag nach Astels Besuch in Blankenhain, die Verlegungen kurzfristig an und begründete sie mit den Worten:
 
„Im neuen Deutschland ist die Zahl der Geisteskranken bedeutend zurückgegangen und sie wird in den nächsten Jahrzehnten sicherlich so gering werden, dass ‘Irrenanstalten’ kaum noch benötigt werden. In unserem Gau Thüringen hat auf dem Gebiet der Erbgesundheitspflege der Rektor der Universität Jena, Prof. Dr. Astel, bahnbrechende Arbeit geleistet.“35
 
Tatsächlich war geplant, einen Großteil der Blankenhainer Patient*innen im Rahmen der Aktion T4 zu ermorden.
 
Am folgenden Montag wurde Kurt Apel in einen Bus der Gekrat gesetzt. Wohin es ging, wußte er nicht.

… und die Aktion T4

Diese „Aktion“ wurde nach der Adresse ihrer Organisationszentrale benannt, der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Hier war die „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ untergebracht, eine Tarnorganisation der Kanzlei des Führers der NSDAP.
Für die Verwaltung, Abrechnung und die Transporte wurden weitere Organisationen geschaffen: Die Zentralverrrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten erwirtschaftete Millionengewinne, indem sie den Kostenträgern für Unterkunft und Verpflegung in den Anstalten noch Zeiten in Rechnung stellte, zu denen die Patienten längst schon tot waren. Die Gekrat bzw. die „Gemeinnützige Krankentransport-G.m.b.H.“ organisierte die Transporte zwischen den Anstalten, Alters- und Versorgungsheimen. Die „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege“ war Trägerin der Tötungsanstalten, beschaffte u. a. Gas und Medikamente, vereinnahmte das Zahngold und die Wertgegenstände der Ermordeten und kümmerte sich um die Abrechnung der Personalstellen. Finanziert wurde die Aktion T4 von der NSDAP.36
All diese Organisationen waren im Grunde nur eine: das Hauptamt II der Kanzlei des Führers.
 
Dass im Kriegsfall Krankenmorde durchgeführt werden sollen, war bei Tischgesprächen bei Hitler 1938 ein Thema. Neu war der Gedanke allerdings nicht: Schon 1929 propagierte Hitler in seiner Rede auf dem NSDAP-Parteitag den Massenmord an den „Schwächsten“ der Gesellschaft: „Würde Deutschland jährlich eine Million Kinder bekommen und 700.000-800.000 der schwächsten beseitigen, dann würde am Ende das Ergebnis vielleicht sogar eine Kräftesteigerung sein.“

Mit den verstärkten Kriegsvorbereitungen rückte nun auch die Umsetzung dieser radikalsten „rassenhygienischen Methode“ näher. Über das gesamte Jahr 1939 liefen die Vorbereitungen für die Aktion T4. Parallel wurden ab Herbst 1939 in den besetzten polnischen Gebieten ganze Heilanstalten leergemordet, um sie für die Wehrmacht nutzen zu können. Auch die planmäßige Ermordung von Kindern mit Behinderungen lief im Spätsommer 1939 an.
 
Eine gesetzliche Grundlage gab es für diese manipulierend „Euthanasie“ genannten Mordaktionen nicht, doch hat das die Beteiligten nicht zögern lassen.
Und beteiligt waren viele: Organisatoren wie Viktor Brack (Leiter des Hauptamts II), Karl Brandt (Hitlers Begleitarzt), Philipp Bouhler (Leiter der Kanzlei des Führers), Herbert Linden (Ministerialrat im Reichsinnenministerium) und Leonardo Conti (Reichsgesundheitsführer), Ärzte, Anstalts- und Klinikleiter wie Hans Heinze (Jugendpsychiater und Leiter der Landesheilanstalt Brandenburg-Görden), Werner Catel (Professor für Kinderheilkunde an der Universität Leipzig). Max de Crinis (Direktor der Nervenklinik der Charité) und Berthold Kihn (Leiter der Jenaer Nervenklinik und Nachfolger Hans Bergers) und nicht zuletzt Menschen, die als Kuriere, Fahrer und Transportbegleiter, als Gasflaschenlieferant, als „Trostbriefschreiberinnen“, als „Pflegepersonal“ in den Tötungsanstalten und als „Brenner“ für die Leichenverbrennung eingestellt wurden.37
 
Die Umsetzung der Aktion T4 begann im September 1939 mit einem Erlass des Reichsinnenministeriums, der die Erfassung aller Anstalten – ob öffentlich oder privat, „Siechenheim“, Heilanstalt oder Sanatorium – anordnete, in denen „Geisteskranke“, Epileptiker, „Schwachsinnige“, Altersdemente u. a. dauerhaft untergebracht waren. Im zweiten Schritt mussten Ärzte dieser Anstalten Meldebögen zu den Patientinnen und Patienten ausfüllen. Abgefragt wurden neben den persönlichen Daten, der „Rasse“ und Diagnose auch, wie lange die Betroffenen sich schon in Anstalten aufhalten und ob sie Besuch von ihren Angehörigen bekommen. Als für die Tötungsaktion relevante Diagnosen galten u. a. Schizophrenie, Epilepsie, Encephalitis, „Schwachsinn“ und Chorea Huntington. Die Meldebögen gingen zurück nach Berlin an die Organisationszentrale und wurden von dort in Kopie drei Gutachtern zugesandt, die nach Durchsicht ein rotes Plus- oder ein blaues Minuszeichen, selten ein Fragezeichen auf den Bögen vermerkten. Das Fragezeichen stand für „Zurückstellen“, das blaue Minus schenkte den betroffenen Menschen – vorerst – das Leben, das rote Plus war die „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“, wie Karl Binding und Alfred Hoche sie 1920 forderten.
Diese „Freigabe“ bedeutete konkret, dass der Name einer Transportliste der Gekrat hinzugefügt wurde. Damit fuhren die Gekrat-Busse die Anstalten ab, sammelten die Patient*innen und verbrachten sie in Zwischenanstalten. Von dort aus wurden die meisten von ihnen einige Wochen später in eine der sechs Tötungsanstalten des Reichs verlegt. Die Thüringer Betroffenen wurden hauptsächlich in den Tötungsanstalten Bernburg und Pirna-Sonnenstein ermordet.
 
Die Angehörigen wurden über die Verlegungen erst im Nachhinein informiert. Um den Massenmord zu vertuschen, wurden Verschleierungsmethoden wie die schrittweise Verlegung über Zwischenanstalten genutzt. Die Tötungsanstalten hatten nicht nur eigene Verbrennungsöfen, sondern auch eigene Standesämter, die die Sterbeurkunden ausstellten.
Auch kamen die Todesmeldungen meist nicht aus den Anstalten, in denen der oder die Betroffene tatsächlich ermordet wurde, die Sterbedaten und Todesursachen entsprachen nicht der Wahrheit, die Ärzte unterschrieben mit Falschnamen: Die Angehörigen, die miteinander in Kontakt sein oder auf eventuelle Trauerannoncen mit demselben Sterbeort und -datum aufmerksam werden könnten, sollten nicht mißtrauisch werden.38

Der Kontakt zur Familie

Kurt Apels Vater bemerkte innerhalb weniger Tage, dass sein Sohn nicht mehr in Blankenhain war. Er wandte sich an den Weimarer Amtsarzt. Dieser bat bei der Landesheilanstalt Blankenhain um Mitteilung, „wohin der Kurt Apel […] verlegt wurde“, und fragte: „Wie war sein derzeitiger Zustand? Ist seine Entlassung demnächst zu erwarten?“39
 
Aus Blankenhain erhielt Freienstein am 11. September die Zeilen:
 
„Der Geisteskranke Kurt Apel aus Weimar ist am 2.9.40 von hier im Auftrage des zuständigen Reichsverteidigungskommissars in die Landesheilanstalt Zschadraß i.Sa. verlegt worden. A. war hier bis zuletzt hochgradig verwirrt und schizophren zerfahren, trieb viel Unfug, war ruhelos und bedurfte ständig Mittel. Auch war er durch nächtliche Unruhe zeitweise störend. Mit einer Entlassung ist in absehbarer Frist nicht zu rechnen. Es ist angeordnet, daß die Angehörigen der von hier überführten Kranken durch die Aufnahmeanstalt unterrichtet werden sollen.“40

Erst durch den Amtsarzt erfuhr der Vater von der Verlegung.
 
Über die Zustände in der Anstalt Zschadraß heißt es, sie seien katastrophal gewesen: „Die Neuankömmlinge waren in überbelegten Räumen auf dünnen Matrazen auf dem Fußboden oder Strohlagern untergebracht. Es herrschte ein tägliches Sterben.“41
Zwei Tage nach Kurt Apels Ankunft mussten weitere 115 Patient*innen aus den Landesheil- und Pflegeanstalten Stadtroda und dem Versorgungsheim Gera in Zschadraß untergebracht werden.
 
Kurt Apels Vater schickte seinem Sohn ein Paket, das allerdings wieder zurückkam und ihn zweifeln ließ, ob er erneut verlegt wurde. Freienstein erkundigte sich Ende September in Zschadraß:
 
„Der Vater des Geisteskranken Kurt A. aus Weimar, der am 2.9. von der Thüringischen Landesheilanstalt Blankenhain nach dort verlegt wurde, teilte heute mit, daß ein Paket an seinen Sohn wieder zurückgekommen sei. Er nimmt an, daß er wieder verlegt wurde.  Ich bitte um Mitteilung, wohin und warum die Verlegung erfolgte. Ist mit einer baldigen Entlassung des A. zu rechnen.“42
 
Zwei Wochen hatte der Aufenthalt in Zschadraß gedauert. Am 18. September wurde Kurt Apel weiterverlegt in die „Heil- und Pflegeanstalt“ Pirna-Sonnenstein.

Auf dem Sonnenstein

Die in einer Burganlage untergebrachte Heilanstalt wurde 1939 aufgelöst und zu einer Tötungsanstalt umfunktioniert. Die auf dem Sonnenstein ankommenden Patient*innen wurden vom „Pflegepersonal“ zügig entkleidet, eventuell auch gemessen, fotografiert und gewogen. Die anschließende „Untersuchung“ durch extra angestellte Ärzte beschränkte sich auf die Durchsicht der Patientenakten und diente der Festlegung der vermeintlichen Todesursache, die später auf der Todesmeldung vermerkt werden sollte.
Der ärztlichen Selektion folgte der Gang in die als Duschraum getarnte Gaskammer. Wer zu unruhig war, wurde mit einem Beruhigungsmittel ruhiggestellt oder mit Gewalt in die Kammer gezwungen. Ein Arzt legte den Hebel zur Einlassung von Kohlenmonoxid um.
 
Nach der Ermordung wurden den Leichen die Goldzähne herausgebrochen. Das Zahngold wurde später von der Degussa zu Barren eingeschmolzen, es ging mit den Wertgegenständen der Opfer in den Besitz der Kanzlei des Führers über.
Die Leichenverbrennung fand im hauseigenen Krematorium im Keller des Gebäudes statt. Unverbrannte Knochen wurden gemahlen und den Angehörigen später als Asche der Verstorbenen angeboten.
Die echte Asche der Opfer wurde auf der Anstaltsdeponie gelagert oder den Elbhang hinuntergeschüttet.43
 
Auch Kurt Apels Asche wurde auf dem Sonnenstein verteilt.
 
Die Todesmeldung zu Kurt Apel erhielt Freienstein am 22. Oktober 1940 aus dem oberösterreichischen Hartheim:
 
„Obiges Schreiben an die Landesheilanstalt Zschadrass wurde uns zur direkten Erledigung zuständigkeitshalber übersandt.
Wir teilen hierzu mit, dass der am 17.11.11 in Weimar geborene Kurt Apel am 29.9.1940 infolge Darmverschluss und Bauchfellentzündung verstorben ist.“44
 

Im November 1940 wird im Tätigkeitsbericht des Weimarer Wohlfahrtsamtes, Abteilung Anstaltspflege, vermerkt, dass “infolge Auflösung der Thür. Landesheilanstalt Blankenhain aus kriegsnotwendigen Gründen und der damit verbundenen Verlegung der Geisteskranken sowie aufgrund der häufiger eingetretenen Todesfälle […] eine fühlbare, finanzielle Entlastung festzustellen” sei.45 

Der Betrieb auf dem Sonnenstein lief noch ein knappes Jahr weiter, bis zum 24. August 1941.
Innerhalb von 14 Monaten – bis zum 24. August 194146 – wurden Transport für Transport, in Gruppen zu je 20 bis 30 Menschen eingeteilt, insgesamt 13 720 psychisch kranke, geistig oder körperlich behinderte Menschen auf dem Sonnenstein ermordet.47 Alle sechs Tötungsanstalten zusammengenommen, beläuft sich die Zahl der Ermordeten auf über 70 000 Menschen.48
Nachdem einige couragierte Personen die Vorgänge öffentlich machten und kritisierten – wie Bischof von Galen49 – bzw. ihre Mitarbeit vehement verwehrten – wie der Vormundschaftsrichter Lothar Kreyßig50 –, mehrten sich die Gerüchte und Proteste in der Bevölkerung so stark, dass Hitler am 24. August 1941 die Aktion T4 stoppte.
Dieser „Euthanasie-Stopp“ beendete jedoch keinesfalls die Morde an kranken, unangepassten und behinderten Menschen. Er bedeutete lediglich eine Verschiebung hin zum dezentral durchgeführten Mord: Statt in den Gaskammern der Tötungsanstalten wurden Kranke nun mittels Hunger, Medikamentenüberdosierungen, Medikamentenverweigerung direkt in den Heil- und Pflegeanstalten getötet.
 
Über Pirna legte sich auch weiterhin der Rauch aus dem Krematorium der Anstalt: Bis 1943 wurden hier arbeitsunfähige KZ-Häftlinge im Rahmen der „Sonderbehandlung 14f13“ in die Gaskammer geschickt.51

Das Ende einer Familie

Der jüngere Sohn der Familie Apel fiel kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges, am 27. März 1945, bei Danzig. Zum Ende des zweiten Weltkriegs hatten die Eltern beide Söhne verloren – den einen vom NS-Staat als „unnützen Esser“ stigmatisiert, den anderen im Kampf um Boden für die „arische Rasse“.


Quellennachweise

Archive

Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar:

  • Ministerium des Innern E1784
  • Erbgesundheitsgericht Jena Nr. 13
  • Staatliches Gesundheitsamt Stadtkreis Weimar Nr. 24

Bundesarchiv Berlin, R179, 1488   

Stadtarchiv Weimar, 12/5-51-14, Geschäftsberichte des Städtischen Wohlfahrtsamtes 1939-44       
 
Print

Kristin Tolk: Therapeutische Unzulänglichkeiten und nationale Überzeugungen. Wie die Jenaer Psychiater um Hans Berger in der Zwischenkriegszeit ihre Patienten behandelten, Dissertation, Jena 2018

Steffen Raßloff: Die erste deutsche Demokratie. Weimar und die Nationalversammlung 1919, in: Thüringen. 55 Highlights aus der Geschichte, Erfurt 2018 (3. Auflage 2022), abrufbar unter: https://www.erfurt-web.de/Deutsche_Nationalversammlung_Weimar_1919

Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus – Studien zur Rassenpolitik und Geschlechterpolitik, MV Wissenschaft, Münster 2010

Stephan Weichold: Die Geschichte der Landesheilanstalt Blankenhain im Zeitraum 1933 bis zur Auflösung am 31.03.1941, Dissertation, Universität Jena, Jena 2015

Renate Renner: Das Landeskrankenhaus Stadtroda während der Zeit des Nationalsozialismus, in: Tagungsdokumentation der Herbsttagung des Arbeitskreises zur Erforschung der Geschichte der „Euthanasie“ und Zwangssterilisation vom 7.11. bis 9.11.1997 in Stadtroda

Ernst Klee: „Euthanasie“ im Dritten Reich, Fischer 2010

Armin Trus, Die „Reinigung des Volkskörpers“. Eugenik und „Euthanasie“ im Nationalsozialismus, Berlin 2019, Metropol
 
Online (zuletzt abgerufen am 3.9.2024)
 
www.gedenkstaette-hadamar.de/blog/2023/07/29/wehe-uns-allen-die-predigt-des-muensteraner-bischofs-von-galen-im-august-1941/ 
archiv-galen.de/index.php/sein-leben-und-wirken/predigten-im-sommer-1941/40-predigt-vom-3-august-1941 
www.janssen.com/germany/therapiegebiete/schizophrenie
www.deutschlandfunk.de/schizophrenie-psychiatrie-genetik-krankheit-gehirn-100.html
jlupub.ub.uni-giessen.de/server/api/core/bitstreams/6fdfa695-4d90-4514-909f-69aa9a2bd850/content 
www.werdenfelser-weg-original.de/deckelbad/
www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/wp-content/uploads/2020/01/nl-behindertenpolitik-nr-29-dez-2019-nachruf-dorothea-buck.pdf
www.stsg.de/cms/pirna/histort/krankenmord_auf_dem_sonnenstein
www.gedenkstaette-stille-helden.de/stille-helden/biografien/biografie/detail-129;
de.wikipedia.org/wiki/Lothar_Kreyssig
www.lpb-bw.de/publikationen/euthana/euthana17.htm


Endnoten

  1. Steffen Raßloff: Die erste deutsche Demokratie. Weimar und die Nationalversammlung 1919, in: Thüringen. 55 Highlights aus der Geschichte, Erfurt 2018 (3. Auflage 2022), S. 96 f., abrufbar unter: https://www.erfurt-web.de/Deutsche_Nationalversammlung_Weimar_1919
  2. Paratyphus ist Infektionskrankheit, die dem Typhus ähnliche Symptome hervorruft und durch Salmonellen verursacht wird.
  3. LATh–HStAW, Ministerium des Innern E1784, Bl. 82
  4. www.janssen.com/germany/therapiegebiete/schizophrenie
  5. Vgl. Kristin Tolk: Therapeutische Unzulänglichkeiten und nationale Überzeugungen. Wie die Jenaer Psychiater um Hans Berger in der Zwischenkriegszeit ihre Patienten behandelten, Dissertation, Jena 2018, S. 56, S. 88
  6. Tolk, a. a. O., S. 123
  7. Tolk, a. a. O., S. 44
  8. Durch Insulingabe wurde eine Unterzuckerung herbeigeführt, die zum Koma führte, auch ein Krampfanfall konnte auftreten. Nach einiger Zeit wurde der Blutzuckerspiegel mit Glucagon wieder erhöht. Die Therapie galt als Standardtherapie bei Schizophrenie und Depression, hatte aber in einigen Fällen irreversible Schäden zur Folge oder führte sogar zum Tod der Patienten.
    Sie erwies sich in den 1950er Jahren als wirkungslos und wurde durch die Elektrokrampftherapie und später durch Psychopharmaka abgelöst.
  9. Tolk, a. a. O., S. 212
  10. Zur Frage der Erblichkeit siehe https://www.deutschlandfunk.de/schizophrenie-psychiatrie-genetik-krankheit-gehirn-100.html
  11. Ebd.
  12. Vgl. Tolk, a. a. O., S. 57
  13. Tolk, a. a. O., S. 45
  14. Patientinnen und Patienten in Heilanstalten und Kliniken, die unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses fielen, konnten nicht entlassen werden, bevor über ihre Unfruchtbarmachung entschieden wurde.
  15. LATh–HStAW, Ministerium des Innern E1784, Bl. 82
  16. LATh–HStA Weimar, Erbgesundheitsgericht Jena Nr. 13, Bl. 20
  17. LATh–HStA Weimar, Erbgesundheitsgericht Jena Nr. 13, Bl. 31
  18. Es entschieden – wie auch bei Ida Werner – die Herren Koehler, Neuert und Hangen. Die beiden letzteren waren Mitarbeiter des Landesamtes für Rassewesen.
  19. LATh–HStA Weimar, Erbgesundheitsgericht Jena Nr. 13, Bl. 26
  20. Gisela Bock: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus – Studien zur Rassenpolitik und Geschlechterpolitik, MV Wissenschaft, Münster 2010, S. 375
  21. LATh–HStA Weimar, Erbgesundheitsgericht Jena Nr. 13, Bl. 41
  22. Stephan Weichold: Die Geschichte der Landesheilanstalt Blankenhain im Zeitraum 1933 bis zur Auflösung am 31.03.1941, Dissertation, Universität Jena, Jena 2015, S. 96
  23. Weichold, a. a. O., S. 1
  24. Weichold, a. a. O., S. 96
  25. Vgl. Weichold, a. a. O., S. 23. In den Landesheilanstalten Stadtroda trug das für die Zwangsasylierabteilung eingesetzte Pflegepersonal Waffen, um Fluchtversuche von Patient*innen zu verhindern. Vgl. auch Renate Renner: Das Landeskrankenhaus Stadtroda während der Zeit des Nationalsozialismus, in: Tagungsdokumentation der Herbsttagung des Arbeitskreises zur Erforschung der Geschichte der „Euthanasie“ und Zwangssterilisation vom 7.11. bis 9.11.1997 in Stadtroda, S. 31
  26. Vgl. jlupub.ub.uni-giessen.de/server/api/core/bitstreams/6fdfa695-4d90-4514-909f-69aa9a2bd850/content und bezüglich der Form der „Deckelbäder“ https://www.werdenfelser-weg-original.de/deckelbad/
  27. LATh–HStAW, Staatliches Gesundheitsamt Stadtkreis Weimar Nr. 24, Bl. 8r
  28. Ebd., Bl, 9r
  29. Bundesarchiv Berlin R179, 1488, Bl. 4. Ein Nachruf auf Dorothea Buck, die nach einem schizophrenen Schub 1936 mit 19 Jahren in die psychiatrische Heilanstalt zwangseingewiesen wurde, beschreibt ihre Zeit dort folgendermaßen: „‘1936 machte ich mit gerade 19 Jahren meine ersten Erfahrungen mit der Psychiatrie. Über Ostern wurde ich in ein vergittertes Zimmer eines Krankenhauses gebracht. Niemand sprach mit mir und erklärte mir, warum ich eingesperrt wurde. Arglos war ich mit unserer Gemeindeschwester mitgekommen. (…) Am Tag nach Ostern brachten die Gemeindeschwester und ein Freund meiner Eltern mich in einem Auto nach Bethel. Mit zusammengebundenen Händen kam ich unter einer Beruhigungsspritze dort an. Kaum lag ich im Saalbett, musste ich das übel riechende und schmeckende Paraldehyd schlucken. ‚Gift!‘ dachte ich, stürzte auf eine Osterblumenvase und trank sie aus, um das Gift zu verwässern.’ Es folgten Wochen der Ungewissheit, in denen sie wie ihre Mitpatientinnen untätig in ihren Betten liegen mussten. Buck: ‘Ohne ein Gespräch, ohne Beschäftigung und ohne Behandlung verstanden wir den Sinn unserer bloßen Verwahrung und Gefangenschaft nicht. Wir waren daher unruhig und ängstlich.’ Die Schwestern bekämpften die Unruhe zum Beispiel mit Dauerbädern, ‘bei dem der Hals in einem Stehkragen einer über die Wanne gespannten Segeltuchplane eingeschlossen wurde. 23 Stunden hintereinander lag ich im Dauerbad. Aus Angst vor einer Wiederholung der Prozedur blieben wir danach eine Weile still.’“ https://www.euthanasiegeschaedigte-zwangssterilisierte.de/wp-content/uploads/2020/01/nl-behindertenpolitik-nr-29-dez-2019-nachruf-dorothea-buck.pdf
  30. Bundesarchiv Berlin R179, 1488, Bl. 4
  31. Weichold, a. a. O., S. 75
  32. Karl Astel kam 1933 nach Weimar, um die Leitung des neugegründeten Thüringischen Landesamts für Rassewesen zu übernehmen. Dank guter Kontakte u. a. zu Reichsstatthalter Sauckel konnte er Karriere machen und war rasch eine der mächtigsten Personen im Thüringischen Gesundheitswesen. Er leitete die Abteilung Wohlfahrt und Gesundheit im Thüringischen Ministerium des Innern und war ab 1939 zudem Rektor der Universität Jena. 
  33. Weichold, a. a. O., S. 72
  34. Weichold, a. a. O., S. 72
  35. Weichold, a. a. O., S. 71
  36. Vgl. Ernst Klee: „Euthanasie“ im Dritten Reich, Fischer 2010, S. 121 f.
  37. Vgl. Klee, S. 143 ff.
  38. Vgl. Klee, S. 148
  39. LATh–HStAW, Staatliches Gesundheitsamt Stadtkreis Weimar Nr. 24, Bl. 14v
  40. LATh–HStAW, Staatliches Gesundheitsamt Stadtkreis Weimar Nr. 24, Bl. 15r
  41. Weichold, a. a. O., S. 79
  42. LATh–HStAW, Staatliches Gesundheitsamt Stadtkreis Weimar Nr. 24, Bl. 16r
  43. Vgl. https://www.stsg.de/cms/pirna/histort/krankenmord_auf_dem_sonnenstein
  44. LATh–HStAW, Staatliches Gesundheitsamt Stadtkreis Weimar Nr. 24, Bl. 17r
  45. StadtAW, 12/5-51-14, Geschäftsberichte des Städtischen Wohlfahrtsamtes 1939-44, Bl. 30
  46. Am 24. August 1941 erging der „Euthanasiestopp“: Nach Protesten von Angehörigen und aus Kirchenkreisen verfügte Hitler, dass die Aktion T4 einzustellen sei. Tatsächlich ging die Ermordung weiter, doch nun nicht mehr zentral organisiert in der Tiergartenstraße 4, sondern vor Ort in den Kliniken und Heilanstalten.
  47. https://www.stsg.de/cms/pirna/histort/krankenmord_auf_dem_sonnenstein
  48. Armin Trus: Die „Reinigung des Volkskörpers“. Eugenik und „Euthanasie“ im Nationalsozialismus, Berlin 2019, Metropol, S. 139
  49. Bischof von Galen machte die Gerüchte um Krankenmorde in mehreren Predigten im Sommer 1941 publik. Am 3. August sprach er in Münster die folgenden Worte zu seiner Gemeinde: „Seit einigen Monaten hören wir Berichte, dass aus Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke auf Anordnung aus Berlin Pfleglinge, die schon länger krank sind und vielleicht unheilbar erscheinen, zwangsweise abgeführt werden. Regelmäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit die Mitteilung, dass die Leiche verbrannt sei und die Asche könne abgeholt werden, allgemein herrscht der an Sicherheit grenzende Verdacht, dass diese zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selbst eintreten, sondern absichtlich herbeigeführt werden. Dass man dabei jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfe sog. ‘lebensunwertes Leben’ vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert. Eine furchtbare, Lehre, die eine Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will, die eine gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden, Krüppel, unheilbar Kranker, Altersschwacher grundsätzlich freigibt! […]
 Arme Menschen, kranke Menschen, unproduktive Menschen meinetwegen! Aber haben sie damit das Recht auf das Leben verwirkt? Hast du, habe ich nur so lange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind, solange wir von den anderen als produktiv anerkannt werden? Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den ‘unproduktiven Mitmenschen’ töten darf, dann wehe uns allen [...], dann ist keiner von uns seines Lebens mehr sicher. Irgendeine Kommission kann ihn auf die Liste der ‘Unproduktiven’ setzen, die nach ihrem Urteil ‘lebensunwert’ geworden sind. Und keine Polizei wird ihn schützen und kein Gericht seine Ermordung ahnden und den Mörder der verdienten Strafe übergeben!“ 
  50. Seine Predigten wurden vervielfacht und verbreitet und sorgten für Unruhe in der Bevölkerung. Vgl. www.gedenkstaette-hadamar.de/blog/2023/07/29/wehe-uns-allen-die-predigt-des-muensteraner-bischofs-von-galen-im-august-1941/ und https://archiv-galen.de/index.php/sein-leben-und-wirken/predigten-im-sommer-1941/40-predigt-vom-3-august-1941
    49. Nachdem der Vormundschaftsrichter feststellte, dass seine behinderten Mündel auffallend oft starben, wandte sich Kreyßig Anfang Juli 1940 mit dem Verdacht des Mords an Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalten an den Reichsjustizminister Gürtner. Kreyßig erfuhr daraufhin, dass der Krankenmord von Hitler selbst angeordnet und von der Kanzlei des Führers organisiert wurde. Er erstattete gegen den Leiter der KdF Philipp Bouhler Anzeige wegen Mordes und untersagte den Anstalten die Verlegung seiner Mündel ohne seine Zustimmung. Das von Gürtner präsentierte Ermächtigungsschreiben Hitlers zur Gewährung des „Gnadentods“ „unheilbarer Kranker“, das gemeinhin als Absicherung der Aktion T4 galt, kommentierte Kreyßig mit den Worten: „Ein Führerwort schafft kein Recht“. Er wurde zwangsbeurlaubt und später in den Ruhestand versetzt. Es sagt viel über den damaligen Zustand der deutschen Justiz aus, dass Lothar Kreyßig der einzige Richter war, der gegen die extralegale staatliche Ermordung protestierte. Vgl. www.gedenkstaette-stille-helden.de/stille-helden/biografien/biografie/detail-129 und https://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_Kreyssig
  51. Vgl. www.lpb-bw.de/publikationen/euthana/euthana17.htm